Der Moment des Kolibris

Kolibri / hummingbird
Short Story

Endlose Weite umgibt uns, während wir mit dem Auto in einer geraden Linie durch das Gebiet schneiden. Die Sonne steht im Zenit und hüllt alles in ihr grelles Licht – als ob sie ihr Gleißen der Erdoberfläche einimpfen will, und alles lässt sich von ihr durchdringen, bis es berstend vor Hitze und Helligkeit kaum noch Eigenleben besitzt.

Paco schaut rechts aus dem Fenster in die reflektierende wüstenhafte Landschaft, die steinstumm vibriert und beinahe feindselig abzustrahlen scheint. Von seiner Position aus kann er nur die endlose Fläche aus staubigem Geröllgrund mit unzähligen scheinbar willkürlich zusammengewürfelten Steinen erkennen. „Fliegen müsste man können“, denkt er, „dann würde es Sinn machen“.

Er betrachtet die anderen Insassen des Autos, den Fahrer, ein Mestize namens Luis, den Wissenschaftler auf dem Beifahrersitz und die Assistentin hinten neben ihm. Sie sitzen schweigend, nur scheinbar nachdenkend. In Wirklichkeit geistern sie wie ferngesteuert durch die wüstenhafte Landschaft und hören das Lied der Spinne, des Affen, des Wales, die aufgrund des Heimvorteils mit Leichtigkeit das Surren des Motors übertönen und die Menschen in ihrem winzigen Vehikel schon längst verführt haben.

Wir verstehen viel vom Stein, von der Materie. Alles, was sich uns in den Weg legt, drehen wir dreimal um, dann können wir es ablegen. Aus der Not heraus, haben wir verlernt, weiter zu sehen als über unseren Horizont hinaus.

Paco verfällt in einen dösigen, tranceartigen Zustand. In dieser endlosen Fahrt durch die Ödnis, die ein Signal eingraviert bekommen hat, eine geheime Botschaft der Sehnsucht, der Freude oder welchen fremden Empfindens auch immer, steuert sein Bewusstsein in die Höhe. Sein Körper wird leicht und leer. Er fliegt zuerst taumelnd, dann immer sicherer über der Landschaft.

Von hier oben kann er die Zeichen glühen sehen. Aus ihrer Mitte steigt etwas wie ein spiralförmiges Leuchten auf, das sich zum Himmel hin öffnet und schließlich in immer weiter werdenden Kreisen im hellen Blaugrau verwässert.

„Da oben ist etwas“, denkt er.

In einer blitzschnellen Bewegung ist er über dem Kolibri. Plötzlich ist es ihm, als sei sein Pulsschlag um ein Vielfaches beschleunigt. Eine zitternde energische Kraft durchströmt ihn. Er kann seinen Herzschlag hören, ein Pochen, so schnell wie ein Vibrieren.

Mit einem wendigen Flügelschlag flattert er zielstrebig nach oben, durch das spiralene Licht. Er fliegt immer höher, gezielt wie ein Pfeil. Sein Herz scheint zu bersten. Da oben ist es. Die höchste Stelle ist erreicht. Er durchstößt die Oberfläche und schießt durch die Sonne.

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